Apikofarm & Café Honmel • Dausing


Helle Lichtpunkte tanzten vor Elenas Augen.  Sie schlug sie auf. Einige feine Lichtstrahlen krochen zwischen den Schlitzen  der Rollladen ihrer Fenster hinein und erhellten den kleinen Raum. „Uaaaaah“, gähnte sie und setzte sich auf. Der Blick auf die Uhr bestätigte ihr, dass sie sogar noch vor dem Wecker aufgewacht war. Ungewöhnlich für sie. Aber vielleicht gehörten neue Angewohnheiten zu neuen Lebensabschnitten. Und genau so einen neuen Lebensabschnitt würde  sie heute beginnen. Etwas wehmütig schaute sie sich in ihrem Zimmer um. Ihr Blick glitt über die kleine Kommode, die sie einmal von ihrer Oma geschenkt bekommen hatte und die sie nun als Schminktisch verwendete, über den großen hölzernen Schrank, den Spiegel mit dem antiken Rahmen, das kleine altmodische Sofa in der Ecke. Schon immer war dieses Zimmer ihr Zufluchtsort gewesen und nirgendswo fühlte sie sich geborgener und wohler als hier, in ihren eigenen vier Wänden. Aber der Drang etwas Neues zu sehen und ihren Alltag hinter sich zu lassen ließ ihr keine Ruhe. Und genau deshalb war es nun dazu gekommen, dass heute der Tag ihrer Abreise gekommen war.
Elena streckte sich etwas, um die Müdigkeit aus ihren Gliedern zu verbannen und stand schließlich auf.  Leise, um ihren Vater noch nicht zu wecken, öffnete sie die Rollladen und auch eines der beiden großen Fenster, um die stickige Wärme etwas durchzulüften.  Frische, kühle Luft umfing sie und das Mädchen atmete tief ein. Dann lief sie kurz zurück zu ihrem Nachttisch um den dort liegenden Pokéball aufzuheben. Zurück am Fenster streckte sie ihre Arme hinaus und öffnete ihn. Von einem auf den anderen Moment erschien Red. Mit großen Flügelschlägen erhob er sich und drehte elegant ein paar Runden vor dem Haus. Auch er schien den frischen Morgen zu genießen, obwohl das Feuerpokémon normalerweise Hitze vorzog. „Guten Morgen Red!“, rief sie und beobachtete ihn kurz mit einem Lächeln auf den Lippen, dann wendete sie sich ab und suchte sich aus dem Schrank ihre Kleidung für den heutigen Tag zusammen.
Mit ihrer Kleidung auf dem Arm drehte sie sich um, als sie etwas am Fenster hörte. Wie erwartet war es Red, welcher sich auf den Fenstersims gesetzt hatte und interessiert hereinschaute. „Na du?“, begrüßte sie ihn. „Heute ist es so weit. Ich weiß nicht ob ich nervös sein oder mich freuen soll…“ Das Fiaro blickte sie beruhigend und aufmunternd an und es zeigte Wirkung. Elena fühlte sich bestärkt. Mit Red an ihrer Seite konnte doch nur alles glatt gehen! Auf ihn war zu jeder Zeit Verlass und sie wusste mit Sicherheit, dass sie ihm in jeder erdenklichen Situation ihr Leben anvertrauen könnte. „Also gut! Ich muss mich jetzt fertig machen und Frühstücken, dann komme ich raus. Pass solange auf dich auf“, lächelte sie und verließ ihr Zimmer um sich anzuziehen, dezentes Make-Up aufzutragen und sich auf den Tag vorzubereiten.
Ihr Magen knurrte laut, als sie auf dem Weg hinunter ins farmeigene Café war. Sie ging direkt in die Küche, wo Sahra gerade eine Himmihbeeren-Schokotorte verzierte. Sie war unsere Angestellte und für das Café Honmel zuständig. Da sie jedoch schon so lange bei uns war, ihre Arbeit hervorragend machte und sie eine zu jeder Zeit freundliche und gutmütige Person war, war sie schon beinahe ein Teil unserer Familie. „Hey, guten Morgen“, begrüßte ich sie und grinste bei meinen nächsten Worten „Kann ich mir ein Stück Kuchen zum Frühstück stibitzen?“
„Hallo Elena! Ja natürlich. Ich bin gleich fertig mit diesem hier. Hab ich übrigens extra für dich gebacken, weil du diese Torte so magst. Als ein kleines Abschiedsgeschenk" Sie zwinkerte ihr zu. "Du kannst dich schon mal auf deinen Stammplatz setzen und ich bringe ihn dir.“, lächelte sie, bevor sie sich wieder voller Konzentration der Torte widmete.
Bis jetzt waren nur wenige Gäste da, wahrscheinlich war es noch zu früh, und der Platz am Fenster in Richtung der Beerenäcker war noch frei. Also setzte sie sich, frühstückte ausgiebig und unterhielt sich eine Weile mit Sahra über ihre bevorstehende Reise. Zur Info: Diese hatte natürlich noch andere Helferlein im Café, weshalb sie nun Zeit für Ela hatte. Nachdem Sahra sich wieder ihrer Arbeit zugewandt hatte, kam ihr Vater herein.
„Guten Morgen, warum hast du mich nicht geweckt?“, fragte er etwas besorgt und setzte sich zu seiner Tochter an den Tisch.
„Hi Dad. Ich wollte dich nicht so früh wecken. Aber ich hätte es gleich gemacht, wenn ich fertig mit Essen geworden wäre“, beteuerte sie und deutete auf das Stück Torte auf dem Teller vor ihr. In Wahrheit hatte sie Angst vor einem sentimentalen Abschied. Wahrscheinlich würde sie nicht gehen, wenn sie heute morgen noch zu lang mit ihrem Vater redete und ein schlechtes Gewissen bekommen würde, weil sie ihn alleine ließ.
„Hey, Elena, bist du noch bei uns?“ Die belustigte Stimme ihres Vaters riss sie aus ihren Gedanken. „Alles in Ordnung? Freust du dich schon auf deine bevorstehende Reise?“, fragte er.
„Ja… alles bestens. Es ist nur… Ich will dich eigentlich mit all dem nicht alleine lassen.“, meinte sie geknirscht und blickte ihren Vater etwas ratlos an.
„Aber Elena. Ich bin doch nicht alleine. Ich werde gut zurechtkommen, auch wenn ich dich vermissen werde. Aber du hast dir das schon so lange gewünscht, dass es das einzig Richtige ist, jetzt deine Pläne umzusetzen. Ich will nur nicht dass du vergisst, mich regelmäßig zu kontaktieren. Und ich hoffe doch, dass du mich des Öfteren besuchen wirst!“ Er lächelte aufmunternd und Elena nickte.
„Danke Dad. Und ich werde dich ganz sicher oft besuchen und dir meine neuen Begleiter zeigen! Hab ich dir schon erzählt, dass ich heute zu aller erst zum Pokemonheim Zauberwald gehen werde? Vielleicht finde ich ja schon da ein Pokemon, mit dem ich mich gut verstehe und welches ich auf die Reise mitnehmen kann.“
„Gute Idee! Red wird die Gesellschaft bestimmt auch guttun.“, meinte ihr Vater und Elena nickte.
„Also gut…“, meinte sie nun schweren Herzens, nachdem sie sich noch eine Weile unterhalten hatten. „Ich denke, ich sollte bald aufbrechen“. Sie stand auf und verabschiedete sich von Sahra und ihrem Vater. Jetzt war es so weit. Bald gab es kein Umkehren mehr.
Mit ihrem Rucksack verließ sie das Gebäude, wo sie schon von Ray empfangen wurde. In der Frische des Morgens lief sie über den Hof zum Tor der Farm hinaus. Auf einem Feldweg umging sie das Wohngebiet Dausings und steuerte in Richtung Route 20, welche sowohl zum Dausing-Hof, als auch, wenn man noch viel weiter ging, zu den großen Städten führte. Red schwebte hoch über ihr und ab und zu schalllte sein Ruf zu ihr hinunter.
Ihre Reise konnte beginnen.